EuGH schützt Verbraucher durch mangelnden Verbraucherschutz: Widerrufsrecht bei Anfertigung auf Kundenwunsch

In den Medien finden sich zu einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs derzeit viele Headlines, die einen sehr irreführenden Inhalt aufweisen:

Zwar ist die Überschrift so rechtlich richtig, sie hat aber mit dem vom EuGH entschiedenen Fall nichts zu tun.

(Bisherige) Rechtslage

Seit Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie im Jahr 2014 befindet sich in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Ausnahme vom Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.

Zu der Frage, wann eine solche Anpassung vorliegt, gibt es einiges an Rechtsprechung, zum Beispiel im Rahmen individuell konfigurierter DELL-Computer. Das, was u.a. die FAZ dort schreibt, ist also zweifellos die seit Jahren geltende Rechtslage.

Entscheidung des EuGH

Die Entscheidung des EuGH betrifft eine andere Frage, die durchaus relevant ist, da in der Regel nicht sofort mit Vertragsschluss die Herstellung beginnt. Im Fall des EuGH ging es um eine maßzufertigende Einbauküche, die auf einer Messe erworben wurde. Die Herstellung hatte aber – anders als in den Überschriften in den Medien suggeriert – zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht begonnen. Der Grund, weswegen Unternehmer hier geschützt werden sollen, besteht ja erst ab dem Zeitpunkt, in dem der Unternehmer unwiderrufliche Dispositionen getroffen hat, um den Vertrag zu erfüllen.

Argument EuGH: Wer nichts macht, macht nichts falsch

Der EuGH begründet den Umstand, dass die Ausnahme auch dann greift, wenn der Unternehmer noch überhaupt nichts in Bezug auf die Herstellung unternommen hat, allen Ernstes mit verbraucherschützenden (!) Erwägungen:

Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 sichergestellt werden soll, dass dem Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags sowohl die Informationen über dessen Bedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses übermittelt werden, die dem Verbraucher die Entscheidung ermöglichen, ob er sich vertraglich an einen Unternehmer binden möchte, als auch die Informationen, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Rechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind (Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Das Bestehen des Widerrufsrechts des Verbrauchers an ein zukünftiges Ereignis zu knüpfen, dessen Eintritt von der Entscheidung des Unternehmers abhängt, wäre jedoch mit dieser Pflicht zur vorvertraglichen Unterrichtung unvereinbar.

Was im Übrigen die Ziele der Richtlinie 2011/83 betrifft, so ergibt sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen 7 und 40, dass mit ihr die Rechtssicherheit von Geschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern erhöht werden soll.

Auf diese Idee muss man auch erst einmal kommen: Lieber Verbraucher, Du weißt in der Regel nicht, wann der Unternehmer mit seiner Arbeit beginnt. Bevor Du nun in Unsicherheit bist, ob Du ein Widerrufsrecht hast oder nicht, helfen wir Dir: Du hast nie ein Widerrufsrecht.

Der Fall erinnert mich an einen langjährigen Raucher aus meinem Bekanntenkreis, der nach kurzer Testphase auf E-Zigaretten meinte, er würde diese nun nicht mehr nutzen, da er von den gesundheitlichen Risiken erfahren habe.

Fazit

Für Verbraucher besteht bei nach Kundenspezifikation gefertigter Ware kein Widerrufsrecht. Das gilt stets, also auch vor Beginn der Fertigung durch den Unternehmer.

EuGH, Urt. v. 21.10.2020, C‑529/19 Möbel Kraft GmbH & Co. KG / ML

1 Kommentar zu „EuGH schützt Verbraucher durch mangelnden Verbraucherschutz: Widerrufsrecht bei Anfertigung auf Kundenwunsch“

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